Algen gegen Lebensmittelknappheit

In Afrika könnten künftig Algenfarmen der Fehlernährung der Menschen vorbeugen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Roman Goergen

Der dürre, heiße Nordosten Kenias gleicht vielerorts einer kargen Mondlandschaft. Besonders rund um den Turkana-See am Dreiländereck mit Äthiopien und dem Südsudan wächst kaum etwas. Das Gewässer ist der größte Wüsten- und Natronsee der Welt, und Landwirtschaft an seinen Ufern ist praktisch unmöglich. Die Folgen sind eine unsichere, schlechte Ernährung für die Bewohner der Region. Was es zu essen gibt, enthält oft zu wenig lebenswichtige Vitamine, Mineralien und Eiweiße. Auch deswegen liegt die Kindersterblichkeit bei 25 Prozent. Nun droht den Menschen dort sogar eine Hungersnot. Rund 3,5 Millionen Kenianer sind nach Angaben der Vereinten Nationen bald nicht mehr in der Lage, sich selbst zu versorgen.

Neun Studenten verschiedener Fachrichtungen von der Uni Regensburg möchten mit ihrem Projekt "Thriving Green" dieses Problem lindern. Ihre Waffe im Kampf gegen Mangelernährung ist ein Algengewächs. "Die Spirulina-Alge hat einen enorm hohen Energiegehalt, wichtige Nährstoffe und Vitamine", sagt Alexander Zacharuk, Biologe und Leiter des sozialen Unternehmens. Außerdem seien die für Landwirtschaft schwierigen Bedingungen am Turkana-See für die Algenzucht optimal: "Die Nähe zum Äquator verhindert jahreszeitliche Schwankungen, das salzige und alkalische Wasser bildet die optimale Umwelt für Spirulina." Im April errichteten die Regensburger eine erste Farm auf dem Gelände der Mission in Nariokotome – in nur drei Wochen.

Seitdem werden die Algenkulturen in drei Betonbecken mit nährstoffreichem Wasser gezüchtet, betreut vor Ort durch zwei Angestellte von Thriving Green. Für einen optimalen Gasaustausch sorgt eine künstlich erzeugte Strömung. Zur Ernte werden die Algen abgefiltert, getrocknet und zu einem Mehl verarbeitet. Dank der Durchschnittstemperaturen von 35 Grad wächst Spirulina enorm schnell, ein einzelner Erntezyklus benötigt nur 25 Tage.

In der Ernährungswissenschaft gelten solche Algen als hochwertiger Nahrungszusatz. Nur 100 Gramm Spirulina haben 290 Kilokalorien, 60 Gramm Eiweiß, etwa sechsmal mehr als ein Ei – dazu wichtige Vitamine, Mineralien und ungesättigte Fette. Schon 1974 hatte die Weltgesundheitsorganisation das Potenzial erkannt. 2003 gründeten die Vereinten Nationen sogar eine Behörde, um den Nutzen von Spirulina gegen eine weltweite Fehlernährung weiter zu untersuchen.

Seitdem werden die Menschen auch in Kenia ermutigt, Spirulina-Farmen zu errichten. Der Unternehmer Jagpal Sandhu startete mit seiner Anlage 2006 in Kisumu am Victoriasee. "Vor allem die nichtstaatlichen Hilfsorganisation, die sich hier um Aids-Patienten kümmern, kaufen Spirulina von mir", berichtet Sandhu. Denn das Eiweiß und die Vitamine der Alge gleichen Mangelerscheinungen bei den HIV-Infizierten aus, besonders auch jene, die von der Therapie verursacht werden. Inzwischen hat der britische "Nasio Trust" im Westen Kenias den Bau von Spirulina-Farmen in sein Programm zur Bekämpfung von Aids aufgenommen.

Die Anlage des deutschen Vereins Thriving Green im Nordosten des Landes begleitet Alfred Seyee als Spirulina-Experte. Er brachte auch die Mutterkulur nach Nariokotome. "Um Fehlernährung zu bekämpfen, müssen wir noch mehr auf nichttraditionelle Landwirtschaft setzen, unterstützt von Biotechnologie", sagt der kenianische Farm-Manager.

Sobald die Probephase der durch Spenden und Preisgelder finanzierten Farm abgeschlossen ist, kann sie bis zu 400 Menschen mit Spirulina versorgen. Aber es soll noch mehr Produktionsstätten als Hilfe zur Selbsthilfe geben: Die Regensburger Studenten planen bereits, die Anbaufläche zu vergrößern, weitere Standorte am See in Betrieb zu nehmen – und die Farmen schließlich an einheimische Betreiber zu übergeben. (bsc)