E-Rezept: Apotheker über Vorteile, Kosten, Hürden und Sanktionspolitik

Inzwischen haben die meisten vom E-Rezept gehört. Über die Vor- und Nachteile sowie Gefahren haben wir mit dem Apotheker Stefan Schwenzer gesprochen.

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Apotheke in Betrieb

Kosmos-Apotheke im Betrieb

(Bild: C. Hanebeck)

Lesezeit: 12 Min.

Das elektronische Rezept soll den Versicherten Wege ersparen, auch wenn die elektronische Gesundheitskarte quartalsweise in das Kartenlesegerät des Arztes gesteckt werden muss. Ärzte sollen davon profitieren, dass Patienten seltener in die Praxis kommen und auch nach einer Videosprechstunde ein Rezept erhalten können.

Stefan Schwenzer ist seit 2016 Inhaber der Kosmos Apotheke in Bremen und hat fünf Jahre beim Medizin-Softwarehersteller ID Information und Dokumentation Berlin im Bereich Pharma als Produktmanager und Teamleiter gearbeitet.

(Bild: C. Hanebeck)

Insgesamt funktioniert das E-Rezept auch bei den Apotheken besser als in den vergangenen Jahren. Während bei Versandapotheken wie DocMorris die Nachfrage nach Werbeflächen auf der Website steigt, sehen die Vor-Ort-Apotheken das E-Rezept (noch) nicht so rosig. Wir haben mit Apotheker Stefan Schwenzer gesprochen und erfahren, mit welchen digitalen Hürden er neben der Arzneimittelknappheit derzeit zu kämpfen hat.

heise online: Wie kann ich in der Apotheke ein E-Rezept einlösen?

Schwenzer: Die meisten unserer Kunden lösen das E-Rezept jetzt mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ein. Wir stecken die eGK in das Kartenlesegerät und dann wird uns das E-Rezept auf dem Bildschirm angezeigt. Wir können das dann in unserem System bearbeiten. Es gibt aktuell in der Regel keine Probleme mit der Lesbarkeit der eGK. Bei manchen Patienten haben wir aber auch schon erlebt, dass die eGK nicht funktioniert, weil sie sehr alt oder abgenutzt war. Viele haben die Karte im Portemonnaie, wo der Chip beschädigt werden kann.

Problematisch ist, dass es dann kein geeignetes Ersatzverfahren gibt. Dann müssen wir den Patienten zurück zum Arzt schicken, wo er dann ein herkömmliches rosa Rezept erhält. Ansonsten ist die eGK-Lösung gut. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Patienten mit einem ausgedruckten Token kommen, den wir abscannen können. In der Regel läuft das auch reibungslos, auch was die Performance angeht. Wie das allerdings aussieht, wenn wirklich in sechs Kassenplätzen gleichzeitig eGKs stecken und Rezepte abgerufen werden, können wir bisher nicht sagen.

Am meisten Sorge bereitet mir, dass diese ganzen Szenarien ohne große Lasttests auf den Weg gebracht werden. Dafür haben wir keine Testszenarien. Bisher hat meines Wissens keiner auf einen Knopf gedrückt und ganz viele Testanfragen gleichzeitig an die Telematikinfrastruktur geschickt, um beispielsweise den Traffic für einen normalen E-Rezept-Verkehr zu simulieren.

Was müssen Apotheken eigentlich machen, damit das E-Rezept funktioniert? Brauchen Ihre Mitarbeiter beispielsweise einen eigenen elektronischen Heilberufeausweis (eHBA)?

Ja, wir haben für jede Apothekerin und jeden Apotheker einen eigenen eHBA, den sie zum Signieren der Rezepte brauchen, der für fünf Jahre ungefähr 500 Euro kostet. Für die Apotheke (die Betriebsstätte) haben wir insgesamt eine sMC-B (Secure Module Card Betriebsstätte) für die Verbindung mit der Telematikinfrastruktur.

Wie groß ist der Eigenanteil der Kosten?

Es gibt ja TI-Pauschalen, die wir bekommen. Nachzuvollziehen, ob diese kostendeckend sind, ist für mich etwas komplizierter geworden mit der Umstellung von Einmalbeträgen auf die monatliche Pauschale. Mein Eindruck ist, dass die Dinge für Apotheken im Schnitt 10 bis 20 Prozent teurer sind als das, was die Pauschale abdeckt. Außerdem finanziert die TI-Pauschale die Anschaffung der Hardware und deren Installation, aber keine internen Zusatzaufwände – etwa die Schulung des Personals oder zusätzliche Computer, weil mehr digitale Arbeitsplätze benötigt werden als vorher.

Warum ist das so?

Während viele Apotheken die Rezeptprüfung früher anhand der ausgedruckten Rezepte durchgeführt haben, ist mit dem E-Rezept ein Computerarbeitsplatz dafür nötig. Auch die Kartenlesegeräte für die elektronische Gesundheitskarte brauchen wir ebenfalls an jeder Kasse, damit wir die Kunden auch bedienen können. Im Durchschnitt kostet ein Gerät 600 Euro. Dazu kommt noch eine Installationsgebühr. Andere Kartenlesegeräte, wie beispielsweise für den elektronischen Personalausweis oder die Signaturkarte, sind da deutlich günstiger. Die höheren Kosten lassen sich auch nicht unbedingt durch die Hardware erklären.

Wie ist das eigentlich mit Pflegeheimen? Es heißt, dass es bei der Heimversorgung mit dem E-Rezept noch Probleme gibt.

Ja, da gibt es derzeit noch logistische Herausforderungen. Problematisch ist beispielsweise, dass für das Einlösen der E-Rezepte mittels der eGK die elektronischen Gesundheitskarten alle einzeln von den Heimbewohnern eingesammelt werden müssen. Aktuell hat die Apotheke keine Möglichkeit, remote auf die Daten zuzugreifen. Die Apotheke kann nur auf das E-Rezept zugreifen, wenn die elektronische Gesundheitskarte im Lesegerät der Apotheke steckt oder wenn sie den Zugriffstoken in Papierform oder über einen sicheren digitalen Weg, wie zum Beispiel den KIM-Dienst (Kommunikation im Medizinwesen), erhält. Das ist ein an die Telematikinfrastruktur angebundenes E-Mail-Programm. Der dritte Weg über die E-Rezept-App der Gematik ist bei Heimbewohner eher nicht praktikabel.

Für die Heimbewohner müsste die Praxis den Token also ausdrucken und in die Apotheke tragen oder ihn anderweitig an die Apotheke übermitteln. Das ist noch zu kompliziert. Die Pflegekräfte könnten den Token theoretisch per KIM direkt aus der Arztpraxis erhalten, allerdings sind die Heime noch nicht an KIM, beziehungsweise an die Telematikinfrastruktur, angeschlossen. Bei der Heimversorgung gibt es für Ärzte außerdem die Ausnahme, dass sie das E-Rezept direkt an Apotheken übermitteln dürfen. Normalerweise ist das wegen des Zuweisungsverbots und der freien Apothekenwahl nicht erlaubt. Optimal läuft der Prozess jedoch noch nicht.

Funktioniert das E-Rezept in Ihrer Apotheke störungsfrei?

Im Großen und Ganzen funktioniert das E-Rezept. Vereinzelt kann es passieren, dass die Karte nicht richtig lesbar ist oder dass man eine Karte einliest und sich herausstellt, dass das Rezept aus irgendwelchen Gründen nicht in der Telematikinfrastruktur angekommen ist. Die Frage ist allerdings, was wir machen, wenn beispielsweise in einem ganzen Bremer Stadtteil plötzlich das Internet oder der Strom ausfällt. Dann können die Patienten nicht mehr versorgt werden.

Zwar gibt es das E-Rezept auf Papier und auch nach wie vor noch das Muster-16-Formular, allerdings muss der Patient dann noch einmal in die Praxis. Bei der Übermittlung per Gesundheitskarte haben wir keinen Hinweis darauf, was auf dem E-Rezept ist. Natürlich sind die Szenarien selten, aber dennoch denkbar. Passiert das zum Beispiel an einem Freitagnachmittag, wenn viele Arztpraxen nicht mehr erreichbar sind, müssen wir die Patienten dann an den kassenärztlichen Notdienst verweisen.

Zur Veranschaulichung: Vormittags kommen aus einzelnen Praxen etwa 50 bis 70 Patienten, die ihr Rezept einlösen wollen. Wenn dann die TI ausfällt und ich diese Patienten wieder in die Praxis schicke, dann müssen die dort Schlange stehen, um dann ein Muster-16-Formular zu erhalten. Das medizinische Fachpersonal in der Praxis müsste dann Überstunden machen.

Was sollte sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Die Politik sollte auch für die Leistungserbringer das Thema Usability in den Fokus nehmen, wenn sie versucht, digitale Lösungen im Gesundheitsbereich zu etablieren. Außerdem sollte sie nicht so sehr auf Fristen und Strafen setzen, sondern darauf, dass erkennbare Mehrwerte die Anwender von der Digitalisierung überzeugen. Die Ausfallkonzepte müssen durchdacht sein und die gegebenenfalls entstehenden Zusatzaufwände berücksichtigt werden.

Kann es auch sein, dass manche Funktionen vielleicht weniger sinnvoll sind und Prioritäten falsch gesetzt werden?

Ja, gerade beim Thema E-Rezept. Da wurde zu lange versucht, es auch für den Versandhandel optimal einzurichten. Da wäre es sinnvoll gewesen, das von vornherein in einer etwas abgespeckten Version zu starten. Ursprünglich war es angedacht, dass das E-Rezept über die Gesundheitskarte eingelöst wird. Wenn man das von Anfang an konsequent umgesetzt hätte, wären wir jetzt schon weiter. Zudem fehlen vernünftige Testszenarien.

Stattdessen sagt man "ihr müsst es jetzt machen und wenn nicht, werdet ihr bestraft". Das ist doch kein Anreiz für die Einführung. Besser wäre, wenn die Leute sagen können "Kollegin Müller nutzt jetzt das E-Rezept und sie hat so gute Erfahrungen gemacht, das möchte ich auch". Aber ich fürchte, dafür ist es jetzt zu spät.

In der Apotheke und auch in der Arztpraxis muss es schnell gehen. Die Verweigerungshaltung mancher Kollegen und Kolleginnen ist so groß, weil viele schlechte Erfahrungen gemacht haben. Auch bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung waren die Prozesse nicht performant. Das hat bei den Ärzten ebenfalls zu Frust geführt.

Sie haben auch den Versandhandel angesprochen. Ist das E-Rezept für den Versandhandel ein Vorteil?

Auf jeden Fall. Der Otto Normalverbraucher, der nicht in der Digitalisierungsblase lebt, und ich formuliere das jetzt bewusst provokant, dem ist egal, ob er einen rosafarbenen Zettel oder einen Papierausdruck des E-Rezepts in der Hand hält. Das E-Rezept wurde ja nicht von Versicherten vehement eingefordert, sondern war und ist politischer Wille, und aus meiner Sicht zumindest zeitweise auch getrieben davon, dass man dem Versandhandel leichteren Zugang zum deutschen Arzneimittelmarkt ermöglichen wollte.

Es wurde also so konzipiert, dass es vor allem auch für den Versandhandel einfachen Zugriff bot. Die Versandhändler haben jetzt gesagt, sie werden ausgeschlossen, weil sie die elektronischen Gesundheitskarten nicht einstecken können. Da sind die Vor-Ort-Apotheken im Vorteil. Das zeigt doch, dass uns die Fixierung auf die "Gleichberechtigung" des Versandhandels nicht weiterbringt, weil dadurch sinnvolle Lösungen, wie die Übertragung des E-Rezepts per eGK eher verhindert werden. Im Übrigen denke ich, dass uns der Versandhandel mit Arzneimitteln insgesamt nicht hilft, gesellschaftlich wie auch wirtschaftlich.

Welche Vorteile ergeben sich denn für die Anwender und Patienten?

Natürlich bringt das E-Rezept für Anwender verschiedene Vorteile – besonders, wenn man digitalaffin ist. Wer beispielsweise ein Rezept pro Jahr nutzt, wird sich die E-Rezept-App aufgrund des Aufwands nur installieren, wenn er da ein technisches Interesse mitbringt. Ob sich mit dem E-Rezept auch die Arzneimitteltherapiesicherheit verbessern lässt – was von vielen erwartet wird – muss sich zeigen. Da gibt es andere, sinnvollere Maßnahmen wie den bundeseinheitlichen Medikationsplan in Verbindung mit einem qualifizierten Medikationsmanagement.

Geplant ist nach dem verabschiedeten Digitalgesetz, dass die Krankenkassen das E-Rezept in ihre App für die elektronische Patientenakte integrieren. Was halten sie davon?

Erst einmal halte ich es für überflüssig, dass Versichertengelder zweimal ausgegeben werden: einmal für die E-Rezept-App der gematik und noch einmal für verschiedene Apps der vielen einzelnen Krankenkassen in Deutschland. Das ist für mich Verschwendung. Aber natürlich hat jeder Interesse daran, E-Rezept-Informationen zu verwenden und drumherum Content zu platzieren. Dann erhalten die Patienten zusätzlich zu den Verwaltungsmöglichkeiten beim Rezept noch Tipps von der Krankenkasse.

Ein E-Rezept sollte aber unbeeinflusst eingelöst werden können, das gilt für alle Beteiligten (Apotheken, Versandhandel, Krankenkassen, Ärzte und weitere). Werbeplätze auf den Websites bestimmter Online-Apotheken sind nicht grundlos sehr beliebt. Dabei sollte es im Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit keine von rein wirtschaftlichen Interessen geprägte Beeinflussung beim Einlösen des Rezepts geben.

Welchen offiziellen digitalen Weg finden Sie am besten?

Jeder Weg hat gewisse Vor- und Nachteile. Die E-Rezept-App funktioniert gut, wenn man sie installiert und sich dafür authentifiziert hat, was allerdings einigen Aufwand erfordert. Außerdem kann der Patient das E-Rezept über die App selbst an die Apotheken zuweisen.

Der ausgedruckte Barcode ist gerade bei den älteren und multimorbiden Patienten sinnvoll. Auch wenn kritisiert wurde, dass der Zettel im A5-Format größer ist als das herkömmliche Muster-16-Formular, ist es für viele Patienten wichtig, noch mal schwarz auf weiß zu sehen, was der Arzt verordnet hat. Zudem gibt es natürlich immer noch viele Patienten, die gar kein Smartphone haben. Für diese ist auch die Einlösung per Gesundheitskarte praktisch. Das ist auch der Weg, den viele jüngere Patienten bevorzugen, die nicht extra die App installieren wollen.

(mack)