Die Woche: Das Geschäft mit der Angst

Bei Open-Source-Projekten haben Patentinhaber leichtes Spiel: Sie können etwaige Rechtsverletzungen jederzeit durch einen Blick in den Quellcode exakt bestimmen. Doch anstatt klar zu sagen, wo Open Source Software welche Patente verletzt, schaffen sie mit vagen Behauptungen eine Atmosphäre der Angst – und schlagen daraus Kapital.

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Der Umstand, dass ein Programm unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht wurde, bedeutet nicht, dass man es auch kostenlos verwenden und weitergeben kann. Verwendet die Software etwa eine patentierten Algorithmus, dürfen ihn höchstens Privatanwender einsetzen, ohne eine Nutzungslizenz erwerben zu müssen. Sobald die Software jedoch gewerblich genutzt oder als Bestandteil eines Geräts verkauft wird, muss man als Hersteller mit Millionenklagen seitens der Patentinhaber rechnen, wenn man das Patent nicht lizenziert hat.

Dabei liefern sich die Hersteller durch den Einsatz quelloffener Software quasi selbst ans Messer: Während sich ein Patentinhaber bei Closed Source Software vor Gericht höchstens auf Indizien stützen kann, bevor der Richter die Vorlage der beanstandeten Code-Teile anordnet, genügt bei Open Source ein kurzer Blick in die Quellen, um Patent- und Copyright-Verletzungen konkret benennen zu können.

Dennoch scheuen sich die Patent- und Copyright-Inhaber meist, die exakte Stelle im Code und den verletzten Schutzanspruch des Patents zu benennen. Das wäre auch schlecht fürs Geschäft: Die Entwicklergemeinde könnte den beanstandeten Code entfernen und durch eine Neuentwicklung ersetzen, die das Patent nicht mehr berührt und für die künftig auch keine Lizenzgebühren mehr anfallen. Stattdessen wird einfach behauptet, der Code verletze eine ganze Reihe von Patenten oder sonstigen Schutzansprüchen. Auf diese Weise schafft man bei Firmen, die Open Source einsetzen, gezielt Angst vor möglichen Patentklagen.

Das Problem an solchen Klagen sind die sehr hohen Streitwerte, die sich an den entgangenen Lizenzgebühren zuzüglich einer Strafzahlung orientieren. Vor amerikanischen Gerichten geht es dabei regelmäßig um hohe Millionenbeträge, was für die beklagten Firmen ein immenses Prozessrisiko bedeutet. Daher haben die Firmen ein großes Interesse daran, einen solchen Patentstreit gütlich beizulegen. Dies erfolgt meist nicht durch die Lizenzierung einzelner Patente – stattdessen wird eine Art moderner Ablasshandel betrieben, bei dem die Firma die Nutzungsrechte am gesamten Patent-Pool des Rechteinhabers erwirbt und sich daher künftig keine Gedanken mehr zu machen braucht, ob die eingesetzte Open-Source-Lösung Patente dieses Anbieters verletzt.

Die erste Firma, die einen solchen Ablasshandel bei Open Source in großem Stil aufzog, war SCO. So behauptete SCO 2003, IBM habe geklauten SCO-Code in den Linux-Kernel eingefügt, und verklagte IBM gleich auf eine Milliarde US-Dollar Schadenersatz. Anstatt die vermeintlich geklauten Code-Teile öffentlich zu benennen und damit die Ansprüche für jedermann nachvollziehbar zu untermauern, tingelten SCO-Verantwortliche mit einem Aktenkoffer voller Ausdrucke der umstrittenen Code-Zeilen durch die Gegend – natürlich ohne jemandem Einblick zu gewähren – und verkauften so genannte Antidot-Lizenzen, mit denen sich Firmen für einen Obolus von bis zu 5000 US-Dollar vor Klagen seitens SCO schützen konnten. Der große Ansturm auf diese Lizenzen blieb zwar aus, einige Firmen waren jedoch ausreichend verunsichert, um SCO das Geld zu überweisen – auch wenn SCO bis dahin nie Belege für seine Behauptung geliefert hatte.

Das Konzept funktionert auch heute noch: Erst Ende April ließ sich HTC von Microsoft erfolgreich ins Bockshorn jagen. Der Software-Riese aus Redmond will beim Smartphone-Linux Android etliche Patentverletzungen festgestellt haben, die von der Bedienoberfläche bis hinunter ins Betriebssystem reichen sollen. Welche Teile das sind und vor allem welche Patente des Software-Riesen hier eine Rolle spielen, sagte Microsoft nicht. Hersteller HTC, der neben dem allerersten Android-Smartphone G1 noch verschiedene andere Android-Smartphones entwickelt hat, entschied sich kurzerhand für den Ablassbrief und darf sich gegen Zahlung nicht genannter Lizenzgebühren (Royalties) künftig frei im Microsoft-Patent-Pool bedienen, sofern es Android-Smartphones betrifft.

Durch die Taktik vager Patentverletzungsvorwürfen verdienen die Patentinhaber nicht nur auf zwielichtige Weise gutes Geld mit Open Source, sondern schaden indirekt noch der Open-Source-Entwicklung: Wer bereits ein weitreichendes Patentnutzungsabkommen mit Microsoft oder einem anderen Rechteinhaber geschlossen hat, wird wohl kaum selbst ein neues Dateisystem entwickeln, das möglichst wenige Patente verletzt – sondern einfach auf die Fertiglösung aus dem Patent-Pool zurückgreifen. Landet der Code dann in einer Open-Source-Lösung, besteht die Gefahr, dass ein anderer Hersteller ebenfalls die patentierte Techniken einsetzt und letztlich in die selbe Ablass-Falle hineintappt. (mid) (mid)