Sabotage an Nord Stream: Möglicherweise genügte auch nur wenig Sprengstoff

Ein schwedischer Ingenieur hat sich Ende Mai auf den Weg zu den zerstörten Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee gemacht. Was bei seiner Expedition herauskam.

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Luftaufnahme des Gasaustritts an der Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee

Wer sprengte die Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2? Eine private Expedition versuchte, Licht ins Dunkel zu bringen.

(Bild: Schwedische Küstenwache)

Lesezeit: 4 Min.

Für die Sprengung der Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee genügten möglicherweise auch deutlich kleinere Sprengsätze als bislang angenommen. Diese These vertritt ein pensionierter schwedischer Ingenieur, der in einer privat finanzierten Expedition mithilfe eines gecharterten Tauchschiffes und einer Unterwasserdrohne die zerstörten Leitungen in der Ostsee in Augenschein genommen und die Krater vermessen hat. Journalisten befragten anhand der gewonnenen Daten und Bilder Experten, die ebenfalls zu dem Ergebnis kommen, dass der Aufwand für die Mission wohl geringer war, als dies von staatlichen Stellen bislang beschrieben wurde.

Die auf eigene Faust initiierte Aktion von Erik Andersson, worüber unter anderem The Intercept berichtet, führte ihn in die ausschließlichen Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks rund um die dänische Insel Bornholm, wo es Ende September 2022 zu den Detonationen unter Wasser kam. Beide Stränge der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 1 wurden dabei zerstört. Von Nord Stream 2, die mangels Betriebserlaubnis niemals aktiv eingesetzt werden konnte, wurde einer von zwei Strängen schwer beschädigt. Da alle Pipelines aus Betriebsgründen Gas führten, entwichen geraume Mengen Erdgas über das Wasser in die Atmosphäre.

Bislang wurde davon ausgegangen, dass je Explosionsort 500 bis 900 Kilogramm Sprengstoff nötig waren, um die Metallrohre, die von Beton umgeben waren, zu zerstören. Andersson untersuchte mit einer Unterwasserdrohne einen Explosionskrater an der Leitung Nord Stream 2. An dem Strang war es zu zwei Detonationen gekommen, wobei eine erst stattfand, als die Leitung bereits drucklos war. Dieser zweite Explosionsort konnte besser als die anderen untersucht werden, da dieser nicht durch entweichendes Gas in Mitleidenschaft gezogen wurde. Andersson und verschiedene Experten kommen anhand der Daten zu dem Schluss, dass auch 50 Kilogramm Sprengstoff oder weniger genügt haben müssen, um die Leitungen zu sprengen. Je nach verwendetem Sprengstoff könnten sogar 10 Kilogramm ausgereicht haben, was es plausibler macht, dass eine kleine Tauchgruppe dafür in Frage kommt, den Sabotageakt verübt zu haben.

Bekanntlich gehen deutsche Ermittler einer Spur nach, die zu einem gemieteten Segelboot führt, das von fünf bis sechs Personen genutzt wurde, um auf die Ostsee hinaus zu fahren. Spezialisten entdeckten an Bord des Schiffes Sprengstoffspuren auf einem Tisch. An der Theorie, dass von diesem Boot aus die Sabotage vorgenommen wurde, kamen Zweifel auf, weil größere Sprengstoffmengen schwereres Gerät und mehr Akteure erfordert hätten. Die Spur der Fahnder führt aktuell in die Ukraine.

Ein weiterer Punkt, den Andersson untersuchte, war die Frage, warum ein Strang von Nord Stream 2 von den Explosionen verschont blieb. Hierzu gab es in den vergangenen Monaten Vermutungen, dass Russland die Pipelines selbst gesprengt haben könnte und eine Leitung ausließ, um diese im Falle einer Normalisierung der Beziehungen zu Deutschland wieder reaktivieren zu können. Andersson geht hingegen von einem Versehen aus. An einer Schadstelle der Leitung entdeckte sein Team eine magnetische Anomalie, die zu einer Kompassstörung führte. Es wäre denkbar, dass die Taucher, die den Spuren nach unter Zeitdruck standen, unabsichtlich an einer Leitung zwei Sprengladungen anbrachten, wovon eine für den anderen, an der Stelle nur 50 Meter entfernten Strang bestimmt war. Dies würde auch erklären, warum es an der beschädigten Leitung zwei Explosionen in einem bestimmten Abstand gab, wovon der eine Explosionsort jetzt dabei hilfreich war, neue Erkenntnisse zu gewinnen. An den anderen Explosionsorten gab es hingegen wohl nur eine Explosion.

Ermittler in Schweden, Dänemark und Deutschland, die unabhängig voneinander die Geschehnisse untersuchen, haben bislang noch keinen Verdacht geäußert, wer hinter der Sabotage stecken könnte. Anderssons Expedition wird von einigen Experten skeptisch gesehen, da zwischenzeitlich schon verschiedene Akteure bei den beschädigten Leitungen waren und wichtige Spuren verwischt haben könnten. Ungeachtet dessen bleiben offene Fragen, etwa dazu, wie die Täter in einem militärisch stark überwachten Gewässer wie der Ostsee unerkannt agieren konnten. So soll es auch Unterwassermikrofone geben, deren Daten laut Experten entscheidend zur Aufklärung beitragen könnten. Bislang ist nicht bekannt, dass aus diesen Quellen Daten in die Untersuchung einbezogen wurden.

(mki)