Triviale Ikonen - Henry-Wessel-Ausstellung im Amerikahaus München

Parkplätze, Telefonmasten, Werbeschilder, schüttere Palmen – Henry Wessel setzt in seinen Fotografien triviale und doch gleichzeitig ikonographische Bilder eines zeitgenössischen Amerikas gegen das monumentale Landschaftsbild, wie wir es von Ansel Adams oder Edward Weston kennen. Zwei Serien des Künstlers, „Standards“ und „Icons“, sind bis 01.07.2016 im Amerikahaus München zu sehen.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Dr. Thomas Hafen
Inhaltsverzeichnis

Unsere Vorstellungen von amerikanischen Landschaften sind geprägt von den Monumentalaufnahmen eines Ansel Adams oder Edward Weston. Zu dieser Inszenierung von Amerika als menschenleerer Wildnis schufen die Mitglieder des New Topographic Movement, zu denen neben Henry Wessel auch Bernd und Hilla Becher, Stephen Shore, Robert Adams und andere gehörten, in den 1970er Jahren einen Gegenentwurf. Die New Topographics setzten sich intensiv mit dem dialektischen Zusammenhang von Natur und Zivilisation auseinander und wollten sich bewusst von der klassischen Landschaftsfotografie abheben. Ihr erklärtes Ziel war es, die vom Menschen veränderte Landschaft, die Man-made Wilderness in ihrer ganzen Trivialität zu zeigen. Die menschengemachten Strukturen werden dabei Teil der Landschaft, es entsteht eine neue Topographie.

Die erste Ausstellung der Gruppe, die 1975 unter dem Titel „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ im George Eastman House in Rochester, New York stattfand, stieß allerdings weitgehend auf Desinteresse und Ablehnung. Heute gilt sie als Beginn einer neuen Ära in der Landschaftsfotografie und wurde an verschiedenen Orten wiederholt, so 2009 im Center for Creative Photography in Tucson, erneut im George Eastman House sowie dem Los Angeles County Museum of Art. Im Jahr 2011 kam sie nach Europa und machte im Nederlands Fotomuseum in Rotterdam sowie im Museo de Bellas Artes in Bilbao Station.

Auch wenn die Motive der New Topographics auf den ersten Blick trivial und zufällig erscheinen, so lässt sich doch eine direkte Linie von Henry Wessel und seinen Mitstreitern zu kritischen Fotodokumentaristen wie Sebastião Salgado oder Edward Burtynsky ziehen, die sich mit sozialen Gegensätzen und Umweltzerstörung beschäftigen. „Wenn man sich darauf einlässt, dann kann man in diesen Bildern durchaus schon einen sozialkritischen Ansatz erkennen“, sagt Dr. Meike Zwingenberger, Geschäftsführerin des Amerikahauses, anlässlich der Ausstellungseröffnung von Standard & Icons – Photography by Henry Wessel.

Henry Wessel hat zumindest in der frühen Phase seines Schaffens, aus der viele der gezeigten Werke stammen, weitgehend ohne feste Pläne oder Konzepte gearbeitet. Zufall und Spontaneität spielten eine große Rolle, wie Wessel selbst sagt, wenn er sich an die frühen Jahre seiner Fotografie erinnert:

When I look over my shoulder at the paths I have taken, none was as exciting and unimaginable as those early days of traveling cross country by car. Driving late into the night, sleeping in the back seat, and waking to a completely unfamiliar landscape was not unusual. Most of this travel was done without destination, itinerary, or expectation. This purposeless attitude afforded me the opportunity to work with complete freedom, responding to the world, eyes wide open.”

Landschaft und menschengemachte Strukturen verschmelzen in Henry Wessels Fotografien häufig zu einer Einheit. So etwa in der Aufnahme „San Francisco 1993“, in der im Hintergrund die Stadt und im Vordergrund eine steinige Wüstenlandschaft zu sehen sind, die beide ohne erkennbare Zäsur ineinander übergehen. Oder auch in den Bildern "Vista del Mar 1985" und "Arizona 1969" in denen Palmen beziehungsweise Lichtmasten seltsame, menschengeschaffene Skulpturen in einer kargen Landschaft bilden. Die Titel der Fotografien sind bewusst nicht beschreibend, sondern nennen nur die Serie – also „Standard“ oder „Icons“ – den Ort und das Jahr der Aufnahme. "Es geht nicht darum, dass ein Titel schon einen bestimmten Kontext suggeriert, das Bild allein soll die Geschichte erzählen", sagt Dr. Zwingenberger.

Die Ausstellung ist bis zum 01.07.16 im Interimsquartier des Amerikahauses in München zu sehen, dessen eigentliche Dependance am Karolinenplatz derzeit generalsaniert wird. Den Bildern kommt der relativ beengte Raum im Interimsquartier zugute. Die kleinformatigen Originalabzüge auf Baryt-Papier würden im großen Foyer des Amerikahauses verloren wirken, in dem üblicherweise die Ausstellungen stattfinden. Nun können sie vor allem in der Serie beeindrucken. "Wir haben ganz bewusst diese enge Hängung gewählt", sagt Dr. Zwingenberger. Nicht das monolithische Einzelwerk solle Wirkung entfalten, sondern das Alttägliche in der Serie sichtbar werden.

  • Die Ausstellung „Standard & Icons – Photography by Henry Wessel“ läuft vom 12. Mai bis 01.Juli 2016
  • Interimsquartier des Amerikahauses, Barer Str. 19a, 80333 München
  • Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 10-17 Uhr, Mittwoch 10-20 Uhr
  • Der Eintritt ist frei

(keh)