Zum Tode Bram Moolenaars: Vim-Koryphäe, Weltenbummler und Spendensammler

Bram Moolenaar ist tot, Erfinder und Hauptautor des Editors Vim. Er bleibt als Entwickler, Spendensammler und Weltenbummler in Erinnerung.

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Bram Moolenaar im Jahr 2007

(Bild: Sebastian Bergmann from Siegburg, Germany, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons (bearbeitet))

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
Inhaltsverzeichnis

Wer als Entwickler im Open-Source-Umfeld unterwegs ist, trifft irgendwann auf Witze über den Kommandozeileneditor Vi – und besonders auf solche, die sich mit der wenig intuitiven Art und Weise befassen, den bereits offenen Editor wieder zu schließen. Die meisten Admins von Linux-Systemen der Gegenwart dürften sich dabei an ihren eigenen Werdegang erinnert fühlen: Ganz am Anfang der eigenen Karriere ist wohl fast jeder schon einmal daran verzweifelt, aus Vi heraus auf die Shell zurückzukehren. Besonders dann, wenn ein frisch installiertes Linux-System noch kein deutsches Layout für die Tastatur geladen hatte. Einen Schönheitsfehler hat die Geschichte aber, denn die allermeisten Administratoren hatten es vermutlich eher mit Vim als Vi zu tun. Vim liegt nämlich – wenn auch in einer sehr einfachen Variante – heute den meisten Linux-Distributionen als Standardeditor bei, und meist ist "vi" sogar ein Alias auf "vim".

Die IT-Welt verdankt Vim dem niederländischen Entwickler Bram Moolenaar. Als der sich Ende der 1980er einen Amiga zulegte, lag diesem lediglich eine mehr schlecht als recht funktionierende Version des BSD-Ur-Editors "vi" bei. Moolenaar tat, was in der F/LOSS-Welt schon damals üblich war: Er begann, das Programm auf eigene Faust mit Patches zu verbessern und an die eigenen Anforderungen anzupassen. 1991 veröffentlichte er unter dem Namen "VI Improved" oder kurz "Vim" erstmals eine eigenständige Version "seines" Editors.

Moolenaar gab in mehreren Interviews an, dass er vom Erfolg seines – eigentlich nur als Hobby angesehenen – Projekts in den kommenden Jahren überrascht war. Denn Vim entwickelte sich flugs zum Quasi-Standard in Sachen Kommandozeileneditor und hielt bald Einzug in praktisch jede relevante Linux-Distribution (übrigens auch in macOS). Der Erfolg kam aber keineswegs von ungefähr: Über die Jahre entwickelte sich Vim nämlich zum Vielseitigkeitsweltmeister, der an die Bedürfnisse des Nutzers äußerst flexibel anpassbar ist und mit den verfügbaren Ressourcen eines Systems trotzdem schonend umgeht. Gerade letzterer Punkt war ursprünglich eine Hauptmotivation hinter der Vim-Entwicklung gewesen. CPU-Zyklen und RAM waren seinerzeit schließlich anders als heute knapp bemessene Güter.

Moolenaar selbst blieb "seinem" Vim über die Jahre verbunden und fungierte im Projekt als "Benevolent Dictator for Life" ("wohlwollender Diktator auf Lebenszeit") – in einer ähnlichen Rolle also, wie Linus Torvalds sie auch für den Linux-Kernel einnimmt. Im Rahmen dieser Arbeit wuchsen die Popularität von Vim und von Moolenaar selbst: Bald galt er als umgänglicher Entwickler mit tiefer Detailkenntnis, den man von neuen Features und Patches erst einmal überzeugen musste, aber mit sachlichen Argumenten gut und schnell auch überzeugen konnte. Zweifelsohne geholfen hat Moolenaar dabei die Tatsache, dass er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit stets auch an Vim arbeiten durfte. So erlaubte Google ihm, neben seiner Arbeit an Google Calendar auch die Entwicklung des freien Editors voranzutreiben. Zweifelsohne auch aus eigenem Interesse: Immerhin dürfte ein großer Teil der Textarbeit bei Google intern ebenfalls per Vim erledigt werden.

Auch wenn die Vim-Entwicklung in den vergangenen Jahren eher langsam geworden ist, sah Moolenaar sein Werk noch lange nicht als vollendet an: Mitte 2022 etwa erschien in Form von Vim 9 eine grundlegende überarbeitete Variante des Editors, die viele alte Zöpfe abschnitt und den Editor gewissermaßen fit für die Zukunft machte. Für seine Fans war Vim das (fit für die Zukunft) indes ohnehin immer gewesen. Auch die Zeilen dieses Nachrufs entstehen übrigens – wie sämtliche Texte des Autors in den vergangenen 23 Jahren – in einer per ".vimrc" angepassten Vim-Instanz.

Über seine Entwicklertätigkeit hinaus hatte Moolenaar viel Freude daran, in der Welt herumzukommen und andere Kulturen und Bräuche kennenzulernen. Seine persönliche Website ist gespickt mit Fotoaufnahmen seiner Reisen, die ihn auf fast alle Kontinente führten. Auch seine Reisen verband der Entwickler dabei mit einer größeren Aufgabe. Besonders am Herzen lag ihm das afrikanische Land Uganda: Hier setzte er sich über die Holland-Dependance des International Child Care Fund (ICCF Holland) dafür ein, Kinder zu unterstützen, deren Eltern dem HI-Virus und der daraus resultierenden Immunschwäche AIDS zum Opfer gefallen sind. Wer "Vim" geöffnet hat, ohne auf der Shell eine Datei als Parameter zu übergeben, hat den diesbezüglichen Spendenaufruf schon mal gesehen. Der Befehl ":help iccf" funktioniert zudem bis heute im Vim und vermittelt Informationen darüber, wie man dem ICCF Geld zukommen lassen kann.

Der größte Teil der Gelder, die in Form von Spenden zum Wohle der Vim-Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten zusammengekommen sind, ist laut Moolenaar unmittelbar an den ICCF und mithin in wohltätige Zwecke in Uganda geflossen. Zwar hat Moolenaar den Lauf der Welt also vor allem durch Vim beeinflusst – die von Steve Jobs gern bemühte "Delle im Universum" ("dent in the universe") hinterlässt er aber zweifelsohne auch durch sein soziales Engagement und sein mildtätiges Wirken.

Laut einer Mitteilung seiner Familie ist Bram Moolenaar am 3. August 2023 an den Folgen einer sich rapide verschlechternden Krankheit verstorben. Wer an ein Jenseits glaubt, darf sich nun also Sven Guckes und Bram Moolenaar beim Fachsimpeln über den kultigen Kommandozeileneditor vorstellen. Dessen Entwicklung wollen die Autoren, mit denen Moolenaar schon bis dato eng zusammengearbeitet hat, künftig in seinem Sinne weiterführen.

Mach's also gut, Bram, und: ":wq!"

(tiw)