Mehr Barrierefreiheit mit Amazons Sprachassistentin

Sprachassistenzsysteme steuern Licht, Fernseher und mehr. Für Menschen mit eingeschränkten motorischen Fähigkeiten können Alexa & Co. mehr sein als Gimmicks.

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(Bild: Albert Hulm)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Nico Jurran
Inhaltsverzeichnis

Der Satz "Sprachsteuerung bedeutet für mich Freiheit" blieb in meinem Kopf hängen, als ich mit Hamoun Kamai für diesen Beitrag über Sprachassistenzsysteme sprach. Davor hatte ich mir zwar überlegt, eine Reportage zu machen, wie Sprachassistenten Menschen mit Behinderungen im Alltag unterstützen können. Doch erst das Gespräch mit Kamai zeigte mir, welche Dimensionen dieses Thema schon heute hat: Der heute 36-Jährige wurde im Alter von 19 Jahren als Beifahrer in einen schweren Autounfall verwickelt und ist seither von der Schulter abwärts querschnittsgelähmt. Dennoch steuert er heute in seiner Wohnung unter anderem Heizung und Licht, öffnet Türen und schickt den Staubsaugerroboter durch die Zimmer – mithilfe von Amazon Alexa.

Bereits kurz nach dem Unfall hatte Kamai damit begonnen, sein Notebook mit aufgespielter Spracherkennungssoftware zu nutzen, um im Internet zu surfen, Texte zu schreiben und Nachrichten zu diktieren. Rund zwölf Jahre später kam im Herbst 2016 Amazons Sprachassistentin Alexa hinzu: "Ich war wirklich fasziniert, obwohl sie praktisch nur Fragen beantworten und auf Zuruf Musik abspielen konnte", erinnert sich Kamai. Die Faszination ist geblieben, auch heute noch saugt er jede Nachricht über kommende Erweiterungen auf und arbeitet sich so tief wie möglich in das System ein. Zum Einsatz kommen daher bei ihm auch eine Reihe von Szenen, die er über die Alexa-App selbst erstellt hat – etwa eine, durch die ihn Alexa morgens mit unterschiedlichen Botschaften begrüßt.

Im Gespräch merkt man schnell, wie wichtig Kamai die Steuerung des Fernsehers per Sprache ist: Das Thema habe ihn "seit dem Unfall wahnsinnig gemacht" – weil er jahrelang um Hilfe bitten musste, wenn er den Kanal wechseln wollte. Das sei ihm manchmal so unangenehm geworden, dass er stattdessen stundenlang denselben Sender schaute, obwohl er eigentlich etwas anderes sehen wollte. Heute steuert er seinen Fernseher über Alexa auf einem Fire TV Cube, ganz ohne Hilfe.

Amazons Sprachassistentin ist bereits seine dritte Lösung zur TV-Steuerung. Zunächst kam ein smarter Samsung-Fernseher zum Einsatz, der sich per Sprache bedienen ließ – Kamai: "Damals ein großer Schritt, wenn auch etwas umständlich". Samsung schaltete die Funktion jedoch nach einiger Zeit wieder ab. Für Kamai folgten damit abermals Jahre ohne TV-Steuerung, bis eine Logitech-Harmony-Fernbedienung mit Hub und schließlich Alexa die Lösung brachten.

(Bild: Jan Sassmannshausen, Amazon Deutschland)

Hamoun Kamai steuert über Alexa diverse Geräte in seiner Wohnung mit seiner Stimme – etwa den Fernseher.

(Bild: Jan Sassmannshausen, Amazon Deutschland)

Irgendwann entschied sich Kamai, Amazon anzuschreiben und seine Geschichte zu erzählen. Er wollte damit anderen Querschnittsgelähmten zeigen, was mit Technik möglich ist, und er hoffte, die Entwicklung zu unterstützen – "auch aus eigenem Interesse", wie er sagt. Amazon reagierte und porträtierte ihn nicht nur für den Bereich "Alexa Accessibility" auf seiner deutschen Website, sondern blieb im Kontakt. Seither bringt Kamai regelmäßig Vorschläge ein.

So sehr Kamai Alexa schätzt, bleibt er offen für Alternativen. Tatsächlich verteilen sich nach seiner Schätzung rund 40 Prozent seiner Sprachsteuerung auf andere Systeme. Jeder Assistent habe dabei seine Aufgaben, die sich auch überschneiden können: Videotelefonate mit seiner Partnerin laufen beispielsweise über das Echo Show, bei Gesprächen mit Freunden ohne passendes Smart Display kommt hingegen oft Skype am Rechner zum Einsatz. Dort ist weiterhin die Spracherkennungsprogramm "Dragon" im Einsatz, wenn es darum geht, im Internet zu surfen oder Mails und Texte zu schreiben.

Die Hauptrolle bei der Bedienung seines Smartphones hat Siri inne. Darüber konnte Kamai nach eigener Einschätzung anfangs nur rund 15 Prozent der iPhone-Funktionen per Sprache steuern, seit dem letzten Update seien es fast 100 Prozent – allerdings nur, weil er die englische Siri-Variante nutzt. Die deutsche Version hinkt hinterher. Kein Problem für Kamai: Dann hat er eben die englischen Befehle gelernt.

Den Google Assistant hat er auf dem Smart Speaker Google Home auch ausprobiert. Überzeugen konnte ihn das System bislang aber nicht, Alexa sei für ihn von Anfang an besser gewesen, ebenso die Unterstützung durch Smart-Home-Geräte.

Von Ausfällen bleibt natürlich auch Kamai nicht verschont. Besonders gut erinnert er sich an einen Internetausfall, der dazu führte, dass die vernetzten Thermostate die Wohnung aufheizten. Seine Erkenntnis aus dem Vorfall: "Ich würde nie alle Schalter entfernen." Die Probleme, die Alexa aktuell ab und an noch hat, verzeiht er ihr jedoch: "Sie ist ja auch erst fünf Jahre alt", so Kamai schmunzelnd.

Mit dem "Hörfilm"-Skill kann Alexa Inhalte aus Mediatheken und dem laufenden Fernsehprogramm mit Audiodeskription abspielen. Die Website Hörfilm.info gibt Auskunft über passende TV-Angebote.