Debatte auf Mastodon: Threads von Meta begrüßen oder blockieren?

Die Mastodon-Community debattiert hitzig, was von Threads angekündigter Anbindung an das Netzwerk zu halten ist und wie man darauf reagieren sollte.

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(Bild: rafapress/davide bonaldo/Shutterstock.com/heise online)

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Schon bevor Metas neues soziales Netzwerk Threads offiziell vorgestellt wurde, gab es Gerüchte, dass der Konzern an "Project92" arbeitet, einem Twitter-Konkurrenten auf Basis des ActivityPub-Protokolls und mit Anbindung ans Fediverse. Nun ist Threads erschienen – noch ohne Fediverse-Verbindung, aber mit der offiziellen Bestätigung, dass diese kommen soll.

"Eines Tages" soll man dank ActivityPub sogar seine Follower mitnehmen können, wenn man aus Threads auszieht. Das sind ungewohnt offene Pläne für einen Konzern, dessen Apps auch aufgrund von Lock-in-Effekten erfolgreich sind. Im Fediverse – insbesondere in der Community des Microblogging-Dienstes Mastodon – tobt deshalb schon seit den ersten Meldungen zu "Project92" die Diskussion, wie man sich zu Threads positionieren sollte.

Eine verbreitete Befürchtung ist, dass Meta vorhaben könnte, die Strategie Embrace, Extend and Extinguish (EEE) zu nutzen. Man würde sich also zunächst an ActivityPub anschließen (embrace = umarmen), sodass Threads- und Mastodon-Communites miteinander verwachsen. Anschließend würde Threads um – möglicherweise proprietäre – Features ergänzt (extend = erweitern), sodass Nutzer eines Mastodon-Accounts oder -Clients zunehmend benachteiligt würden. Das würde sie dazu treiben, Threads direkt zu nutzen.

Letztlich könnte Threads die Verbindung zum Fediverse wieder kappen, was viele verbleibenden Mastodon-Nutzer zum Wechseln zwingen würde, um Kontakt zu bereits gewechselten Account zu behalten. Übrig bliebe ein zur Belanglosigkeit geschrumpftes Mastodon (extinguish = auslöschen).

Die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen, beispielsweise wird Google vorgeworfen, die Firma sei beim Chatprotokoll XMPP so vorgegangen. Allerdings ist XMPP keineswegs tot und auch Anhänger dieser Theorie räumen ein, dass völlig unklar ist, wo XMPP heute stünde, wenn Google es ignoriert hätte. Mastodon-Gründer Eugen Rochko schätzt die Gefahr auch als gering ein. Seiner Meinung nach stünde ActivityPub nach einer EEE-Attacke schlimmstenfalls ebenso gut oder schlecht da wie vor dem Angriff.

Hinzu kommt, dass "Embrace, Extend and Extinguish" an sich dazu dienen soll, eine größere oder zumindest vergleichbar große Community zu übernehmen. Threads hat allerdings ein so rasantes Wachstum hingelegt, dass es längst viel größer ist als Mastodon und die Motivation für so ein Vorgehen fraglich erscheint.

Dass Meta eine Anbindung ans Fediverse wirklich deshalb anstrebt, weil schöpferisch Tätige gerne ihr Publikum nicht an einen Konzern binden wollten, wie Threads-Chef Adam Mosseri auf der Plattform schreibt, mag im Fediverse allerdings auch kaum jemand glauben.

Spekuliert wird stattdessen, dass Threads an der Mastodon-Community Interesse haben könnte, ohne sie letztlich auslöschen zu wollen. Beispielsweise, um Threads-Nutzern einen Grund zu nehmen, Mastodon-Apps zu installieren. Oder, um solche Behörden- und Politiker-Accounts über Threads erreichbar zu machen, die zumindest hierzulande schon vielfach Twitter verlassen habe. Dagegen spricht aber unter anderem, dass Meta laut Mosseri gar kein Interesse an politischen Inhalten auf Threads hat.

Eine andere verbreitete Idee ist, dass sich Meta mit der Fediverse-Anbindung gegen regulatorische Maßnahmen wehren möchte. Insbesondere wird vermutet, das ActivityPub-Interface könnte helfen, Anforderungen des Digital Markets Acts (DMA) der Europäischen Union zu erfüllen. Der soll insbesondere sehr große, als Torwächter titulierte Unternehmen daran hindern, ihre Marktmacht zu missbrauchen und Interoperabilität mit anderen Anbietern erzwingen.

Höchstwahrscheinlich wird das tatsächlich zumindest ein Grund sein, warum Meta Threads an ein offenes Protokoll anbinden möchte: Das Unternehmen dürfte vom DMA betroffen sein und scheint genau deshalb Threads einstweilen nicht in der Europäischen Union anzubieten. Möglicherweise wird Threads hierzulande verfügbar gemacht, sobald die Anbindung ans Fediverse zur Verfügung steht.

Was auch immer Metas Motivationslage ist: Die Mastodon-Community debattiert, wie man auf ein möglicherweise föderierendes Threads reagieren soll. Die Meinungen reichen von großer Freude, dass ein offenes Protokoll so einen massiven Schub bekommt, über die Befürchtung, dass man damit von Datenschutzproblemen bis Monetarisierungssystemen allerlei Unerwünschtes ins Haus bekäme. Es gibt sogar die Annahme, dass es sich ohnehin um einen PR-Gag handelt und Threads letztlich nie ans Fediverse angebunden werden wird.

Weit verbreitet ist die Meinung, dass Meta schon jetzt auf Threads (und seinen anderen Plattformen) nur unzureichend moderiere. Mastodon-Instanzen, die in Zukunft mit Threads föderieren, würden ihre Nutzer daher einer Flut an Spam und anderen unerwünschten Inhalten aussetzen, die sie selbst kaum einhegen könnten.

Das würde – so die Überlegung – unter anderem dazu führen, dass genau jene gesellschaftlichen Gruppen, die sich aktuell bei Mastodon wohl fühlen, diesen Rückzugsort verlören. Anhänger dieser Sicht hoffen, dass möglichst viele Mastodon-Instanzen von sich aus die Föderation mit Threads unterbinden. Bereits vor der Eröffnung von Threads wurde ein Anti-Meta Fedi Pact initiiert, in dem sich bislang einige hundert Instanzen verpflichten „Projekt92 verdammt noch mal zu blockieren“.

Solche vorsorglichen Blockaden riefen allerdings Kritiker auf den Plan, die so ein Vorgehen als problematisch erachten. Die Idee scheine ihm „kleinlich und absichtlich isolierend“, schreibt beispielsweise Markdown-Miterfinder John Gruber. Sie passe nicht zu ActivityPubs Ziel, wahrhaft offene soziale Netzwerke zu ermöglichen.

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Der Blogger und Autor Watts Martin befürchtet gar, dass die Idee weitere Kreise ziehen könnte und Mastodon-Instanzen nicht nur Threads deföderieren, sondern auch andere Mastodon-Instanzen, die mit Threads verbunden bleiben. Das sei eine „wahrlich toxische Idee“. Den sozialen Graphen der eigenen Nutzer zu stören, müsse ein allerletztes Mittel gegen klare und gegenwärtige Gefahren sein. Dem entgegen stehen Stimmen, dass die Gefahr, die von Meta ausgehe, keineswegs hypothetisch sei, wie die bestehenden Plattformen des Konzerns zeigten.

Letztlich offenbaren sich an der Debatte grundsätzlich unterschiedliche Sichten auf das Fediverse und dessen Ziel. Soll es wachsen, womit Threads Anbindung eine große Chance wäre, oder soll es eine Nische bilden, für jene, die sich bei Threads, Instagram & Co nicht wohlfühlen? Soll es möglichst offen sein, und daher Threads zumindest tolerieren, oder einen Gegenentwurf zu den marktwirtschaftlich organisierten Netzwerken des Silicon Valley darstellen, und sich deshalb von eben jenen abgrenzen? Noch tobt die Debatte, sicher ist nur, dass interessante Zeiten auf das Fediverse zukommen. (syt)