EU-Gesundheitsdatenraum beschlossen: Bürger können Datenweitergabe widersprechen

Der Europäische Gesundheitsdatenraum wurde beschlossen. Wer nicht will, dass seine Daten dort hineinfließen, kann – bis auf wenige Ausnahmen –widersprechen.

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Datennetze in einer Hand

(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

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In der Nacht zum Freitag haben das Europäische Parlament und der Rat eine Einigung darüber erzieht, einen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) zu schaffen. Bürger sollen damit eine EU-weit abrufbare digitale Patientenakte erhalten, die die Versorgung über Ländergrenzen hinweg verbessern soll, für einen leichteren Zugang zu Rezepten, Bilddaten, Labortests und weitere Daten. Ein Widerspruch der Datenweitergabe ist ebenfalls vorgesehen – außer für die Sekundärdatennutzung für Zwecke von "öffentlichem Interesse, Politikgestaltung, Statistik und Forschungszwecke im öffentlichen Interesse". Die Einigung muss noch formal von beiden Institutionen angenommen werden, bevor sie in Kraft treten kann.

"Der europäische Gesundheitsdatenraum wird den Bürgerinnen und Bürgern die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten geben, indem er einen sicheren Rahmen für die Speicherung und den Zugriff auf ihre persönlichen Gesundheitsdaten bietet, auf die überall in der EU zugegriffen werden kann, wodurch die Gesundheitsversorgung auf nationaler und grenzüberschreitender Ebene verbessert wird", sagt Tomislav Sokol, Ko-Berichterstatter des Umweltausschusses (ENVI). "Es ist uns gelungen, [...] erhebliche Ergänzungen zum Schutz sensibler personenbezogener Daten aufzunehmen, insbesondere mit der Möglichkeit für Patienten, sich sowohl für die primäre als auch für die sekundäre Verwendung ihrer Gesundheitsdaten zu entscheiden", sagt Annalisa Tardino, Ko-Berichterstatterin des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten (LIBE).

Das deutsche Gesundheitsministerium (BMG) hatte wiederholt versprochen, sich weiterhin für die Widerspruchsmöglichkeit für Deutschland einzusetzen. Im Mai 2022 hatte die EU-Kommission eine Verordnung für einen Europäischen Gesundheitsdatenraum vorgestellt. Daher versucht das BMG seitdem, Deutschland für die Datenweitergabe zu rüsten. Dafür wurde erst vor kurzem das Gesundheitsdatennutzungsgesetz beschlossen. Zentral dabei wird das Forschungsdatenzentrum Gesundheit sein, das sich noch im Aufbau befindet.

Sowohl die zentrale Datenspeicherung wird kritisiert als auch die Tatsache, dass Versicherte erst widersprechen müssen, damit Daten nicht EU-weit weitergegeben werden und unter anderem Pharmaunternehmen zur Verfügung stehen. "Die EU lässt sensibelste Patientenakten anhäufen, vernetzen und weitergeben, ohne aber die Kontrolle und Selbstbestimmung der Patienten über ihre Daten sicherzustellen. [...] Der mit dieser Verordnung einhergehenden Entmündigung von Patienten erteilen wir Piraten eine klare Absage", kritisierte Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im EU-Parlament.

Patienten sollen mit dem EHDS über die Dateninfrastruktur "MyHealth@EU", die gerade aufgebaut wird, Zugang und Kontrolle über ihre Daten erhalten, einige Mitgliedsstaaten sind dort bereits angeschlossen. Für die Sekundärdatennutzung soll die europäische Dateninfrastruktur "HealthData@EU" zum Einsatz kommen. Dann können Forscher oder Industrievertreter nach Antragstellung – wobei der Zweck entscheidend ist – Zugang zu Daten bei den nationalen Datenzugangsstellen erhalten, hierzulande beim BfArM angesiedelt.

Datenkategorien beim Europäischen Gesundheitsdatenraum

(Bild: BMG)

Künftig sollen mit dem EHDS anonymisierte oder pseudonymisierte Gesundheitsdaten zur Verfügung stehen. Diese stammen aus elektronischen Patientenakten, klinische Studien, medizinischen Registern, aber auch weitere Daten wie Abrechnungsdaten, genetischen Daten sowie Informationen über Ressourcen, Ausgaben und Finanzierungen im Gesundheitswesen können für Zwecke von öffentlichem Interesse weitergegeben werden. Besonders sensible Daten wie Gendaten erfordern allerdings eine ausdrückliche Zustimmung, ebenso Daten aus Wellness-Apps.

Die Re-Identifikation ist strafbar. "Die nationalen Datenschutzbehörden werden die Durchsetzung der Rechte auf Zugang zu Gesundheitsdaten überwachen und befugt sein, bei Mängeln Geldbußen zu verhängen", heißt es vom EU-Parlament. Außerdem ist "die Weitergabe von Daten zu Werbezwecken oder zur Bewertung von Versicherungsanfragen untersagt", ebenso die Sekundärnutzung bei Entscheidungen, die den Arbeitsmarkt betreffen, "Kreditbedingungen und andere Arten von Diskriminierung oder Profiling".

Ursprünglich waren weniger Betroffenenrechte vorgesehen, etwa kein Widerspruchsrecht bei der Weitergabe der Daten. Daraufhin hatte es unter anderem von Datenschützern vehemente Kritik gegeben. Doch auch Ärzte und Psychotherapeuten sahen das Vertrauen zu ihrer Berufsgruppe gefährdet. Daraufhin war zunächst von einem deutschen Alleingang mit Widerspruch die Rede.

Nach dem Gesundheitsdatenraum sind weitere Datenräume geplant, beispielsweise für Industrie, Mobilität, Finanzen und Agrar. Damit sollen die Daten besser verfügbar und die EU konkurrenzfähiger gemacht werden. Gelingt es, die Gesundheitsdaten zum Fließen zu bringen, sollte es in anderen Bereichen schneller klappen.

Als Lehre aus der Coronakrise hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Europäische Gesundheitsunion gefordert, von der der Gesundheitsdatenraum der wichtigste Bestandteil sein soll. Durch diesen sollen die EU-Staaten beim Thema Gesundheitsdaten zusammenarbeiten können. Demnach müssen die Daten "zum Schutz lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person oder einer anderen Person" weitergegeben werden.

(mack)